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Angst bei Parkinson: Wenn Gedanken laut werden und das Herz rast

Juli 9, 2025

Angst bei Parkinson: Wenn Gedanken laut werden und das Herz rast

Ein persönlicher Blick auf ein stilles Symptom

Viele Menschen mit Parkinson kennen es nur zu gut: Angst. Sie kommt nicht mit einem lauten Knall, sondern schleicht sich ein. Manchmal morgens beim Aufwachen, manchmal mitten im Alltag. Es ist nicht nur die Angst vor dem Fortschreiten der Erkrankung. Es ist auch die Angst vor Immobilität, vor Bettlägerigkeit, davor, die Selbstständigkeit zu verlieren. Manchmal ist es einfach die Angst vor der Angst.

Und wenn sie da ist, versucht man, etwas dagegen zu tun. Man lenkt sich ab, zum Beispiel mit Spazierengehen, mit Atemübungen, Musik hören, Haushalt machen, Fernsehen, durch Gespräche oder Scrollen am Handy. Man liest Bücher über Achtsamkeit, geht in die Natur oder macht progressive Muskelentspannung. All das kann helfen, es sind Strategien, die den Parasympathikus, unser Beruhigungsnervensystem, aktivieren und tatsächlich kurzfristig Entlastung bringen.

Aber diese Strategien vermitteln der Angst auch: „Du hast Recht.“ Denn wir flüchten. Wir vermeiden. Wir beruhigen uns, aber lassen die Angst in ihrem Grundgedanken gewähren. Unser Gehirn lernt: „Die Angst war richtig, ich musste ja reagieren.“ Und das ist der Teufelskreis.

Angst in Situationen, die keine reale Bedrohung sind

Besonders schwierig wird es dann, wenn die Angst uns in eigentlich sicheren Situationen überfällt. Etwa im Fahrstuhl, im Supermarkt, im Wartezimmer, im Kino oder im Gespräch mit dem Arzt. Hier handelt es sich oft nicht um eine evolutionär sinnvolle Reaktion auf reale Gefahr, sondern um eine erlernte, übersteigerte Reaktion.

Diese wird gespeist aus alten Glaubenssätzen wie:
• „Ich könnte hier zusammenbrechen.“
• „Ich halte das nicht aus.“
• „Die anderen merken, dass ich Angst habe.“
• „Ich verliere die Kontrolle.“

Diese Gedanken aktivieren unser Angstsystem, obwohl objektiv keine Gefahr besteht. Das Herz rast, die Atmung flacht ab, Schwindel steigt auf. Und dann? Dann flieht man oder kämpft gegen die Angst. Doch genau das verstärkt sie langfristig.

Die größte Herausforderung: Der Angst erlauben, da zu sein, und ihr die Tür zu zeigen

Hier liegt eine der schwersten, aber heilsamsten Aufgaben im Umgang mit Angst: Wir müssen lernen, der Angst Raum zu geben, aber nicht die Kontrolle. Sie darf da sein. Aber wir dürfen ihr sagen: „Ich sehe dich. Aber du bist gerade fehl am Platz.“

Und genau das widerspricht unserem Instinkt. Denn unsere Impulse schreien nach Flucht, nach Kontrolle, nach Ablenkung. Doch das Ziel ist das Gegenteil: In der Situation bleiben. Spüren, dass man nicht zerbricht. Dass der Körper sich selbst reguliert. Dass Panik kommt und wieder geht.

Das nennt man in der Therapie „durchfallen“. Immer wieder durch dieselbe Situation, bis das Gehirn lernt: Es passiert nichts Schlimmes.

Das ist keine Willensfrage, sondern Neurobiologie. Und deshalb ist es auch möglich, dass man dies nicht alleine tun muss.

Professionelle Unterstützung: Hilfe annehmen

Weil dieser Weg Mut braucht und Wiederholung, empfiehlt es sich, professionelle Unterstützung in Anspruch zu nehmen. Therapeut:innen helfen dabei, angstverursachende Gedanken zu identifizieren und neue, hilfreiche Denkmuster zu entwickeln. Sie begleiten auf dem Weg durch herausfordernde Situationen und geben Werkzeuge an die Hand, mit denen man die Kontrolle zurückgewinnt – nicht über die Angst, sondern über den Umgang mit ihr.

Therapieformen, die helfen können:
• Kognitive Verhaltenstherapie (CBT)
• Konfrontationstherapie/Exposition
• Akzeptanz- und Commitment-Therapie (ACT)
• Tiefenpsychologisch fundierte Gespräche

Wichtig: Ressourcenknappheit erkennen und Alternativen nutzen

In vielen Regionen ist es derzeit schwierig, schnell einen Therapieplatz zu finden. Umso wichtiger ist es, auch auf niedrigschwellige Angebote zurückzugreifen, die dennoch wirksam sein können.

Ein erster Ansprechpartner kann hier auch die eigene Krankenkasse sein. Viele gesetzliche und private Versicherungen bieten Programme zur psychischen Gesundheit an oder vermitteln kurzfristige Unterstützung, sei es telefonisch, online oder über Gruppenangebote. Es lohnt sich, aktiv nachzufragen, welche konkreten Hilfen in deinem Fall zur Verfügung stehen.

Digitale und lokale Hilfe – Wege, die erreichbar sind

Auch digitale Gesundheitsanwendungen können eine wertvolle Unterstützung sein, besonders dann, wenn man mobil eingeschränkt ist oder schnelle Hilfe sucht. Einige dieser Programme sind sogar vom Arzt verordnungsfähig und kostenfrei über die Krankenkasse nutzbar.
Empfehlenswerte Angebote:

• Invirto Wissenschaftlich fundierte Online-Angsttherapie mit Elementen der Konfrontation in virtuellen Alltagsumgebungen (zum Beispiel Fahrstuhl, Supermarkt).
www.invirto.de

• Selfapy Online-Kurse bei Angst, Depression oder Stress, begleitet von Psycholog:innen – ohne lange Wartezeiten, auf Rezept möglich.
www.selfapy.com

• HelloBetter Digitales Therapieprogramm mit Fokus auf kognitive Verhaltenstherapie. Klinisch geprüft, zertifiziert, ebenfalls verordnungsfähig.
www.hellobetter.de

Diese Angebote sind rund um die Uhr zugänglich, datensicher und speziell für Menschen entwickelt, die sich in psychischer Belastung befinden. Sie ersetzen nicht immer die persönliche Therapie, können aber ein stabiler erster Schritt sein oder ein wichtiges Begleitangebot.

Fazit: Angst ernst nehmen und ihr mutig begegnen

Angst ist ein reales Symptom, auch bei Parkinson. Aber sie ist behandelbar und sie ist veränderbar.

Es braucht Geduld, Übung und manchmal Hilfe von außen. Du darfst Angst haben, aber du musst dich nicht von ihr leiten lassen.

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